Staatstheater Nürnberg

Im Detail: Der Kontrabass

Kontrabass headerFoto: Konrad Fersterer

ZUM STÜCK

Kraftquell, zentrale Größe jedes Ensembles, unangefochtene Krönung der Musikgeschichte: Der Kontrabassist in Patrick Süskinds Komödie überhöht sein Instrument in gnadenloser Eitelkeit. Das kleinbürgerliche Mitglied eines mittelmäßigen Orchesters monologisiert über sein Instrument, seine Stellung im Orchester und wie sich der Kontrabass auf sein Schicksal auszuwirken scheint. Mit zunehmendem Alkoholpegel kippt das Verhältnis des einsamen Namenlosen zum „Dreckskasten“ radikal: Ein einziges Hindernis sei es - menschlich, gesellschaftlich, verkehrstechnisch, sexuell und musikalisch.
1980 wird das Einpersonenstück in der Fachzeitschrift „Theater heute“ erstveröffentlicht. Es folgen 1981 die Uraufführung als Hörspiel im Süddeutschen Rundfunk und als Bühnenstück im Münchner Cuvilliétheater. Es wird Süskinds literarischer Durchbruch - Bis heute gehört der zeitlose Stoff zum Repertoire vieler Bühnen. Sascha Tuxhorn und Amrei Scheer kehren in ihrer Nürnberger Inszenierung die psychische Verfasstheit des vereinsamten, kontaktgestörten Künstlers hervor, ohne die skurrile Komik des Texts zu verlieren.


Kontrabass 01"Sie können die gesamte Orchesterliteratur von A bis Z – und zwar was Sie wollen: Sinfonie, Oper, Solistenkonzerte –, Sie können es so wie es ist wegschmeißen, wenn Sie keine Kontrabässe haben, so wie es ist." | Foto: Konrad Fersterer

ZUM AUTOR

Der Autor Patrick Süskind wurde am 26.3.1949 in Ambach am Starnberger See geboren. „Der Kontrabass“ ist sein Erstlingswerk und einziges Theaterstück. Daneben hat er zahlreiche Drehbücher und einen Roman geschrieben: „Das Parfum“ (1985) ist ein internationaler Bestseller, mit dem er schlagartig Weltruhm erlangte. Süskinds Figuren sind oft menschenscheue Einzelgänger, die abseits der Gesellschaft stehen und sie mit einer Außenperspektive in den Blick nehmen. Wie der Kontrabassist lebt auch Süskind zurückgezogen und meidet öffentliche Auftritte, Interviews oder Fotos; sogar der Weltpremiere der erfolgreichen Verfilmung von „Das Parfum“ (2006) blieb er fern. In einer der wenigen öffentlichen Äußerungen gibt er an, seine eigene Biografie als Inspiration für „Der Kontrabass“ herangezogen zu haben. So habe er selbst trotz jahrelangen Übens lediglich bescheidene Ergebnisse im Klavierspiel hervorgebracht, das sein dominanter Vater ihm auferlegt habe. Auch seine Charakterisierung des Protagonisten als isoliert beruht zum Teil auf Süskinds eigenem Leben: „Ich habe insofern auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können, als auch ich den größten Teil meines Lebens in immer kleiner werdenden Zimmern verbringe, die zu verlassen mir immer schwerer fällt. Ich hoffe aber, eines Tages ein Zimmer zu finden, das so klein ist und mich so eng umschließt, dass es sich beim Verlassen von selbst mitnimmt“.


03 Kontrabass 0896"Beethoven hat mehrere Klaviere zerschlagen. Aber nie einen Kontrabass, das muss man ihm zugutehalten." | Foto: Konrad Fersterer

BASSISTENHERZ

Schauspieler und Regisseur Sascha Tuxhorn, Regisseurin Amrei Scheer und Dramaturgin Eva Bode im Gespräch

E: Sascha, das Stück „Der Kontrabass“ in den Spielplan aufzunehmen ist eine Herzensangelegenheit von dir. Warum?

S: Ich habe tatsächlich für die Schauspielaufnahmeprüfung vor über 20 Jahren aus „Der Kontrabass“ vorgesprochen. Die Reaktion eines Dozenten: „Lass das, das ist kein Schauspielstück.“ Und dieser Satz verfolgt mich seither. Wieso eigentlich nicht? Vielleicht, weil es so flach komödienhaft daherkommt? Außerdem bin ich ja selbst Bassist – E-Bassist – und habe vor zwei Jahren angefangen, Kontrabass zu lernen. Ich liebe dieses Instrument und bin damit diesem Stück, dieser Musikthematik sehr verbunden. Auch, wenn ich‘s nicht professionell mache – ich habe ein Bassistenherz, würde ich sagen.

E: „Kein Schauspielstück“ – vielleicht entsteht bei manchen der Eindruck, weil es sich auf den ersten Blick als relativ handlungsarmer Monolog liest…

S: „Der Kontrabass“ ist tatsächlich nominell ein Monolog, aber wenn man genau hinschaut, sind da drei Akteur*innen: Der Kontrabassist, das Instrument und das Publikum. Das Publikum ist Teil. Spielt eine Rolle. Das tut es zwar immer im Theater, aber hier ganz speziell.

A: Ein richtiger Dialog ist es zwar auch nicht. Aber der Mann interagiert mit dem Publikum.

E: Darin liegt ja auch das Komödienhafte: Er wendet sich an ein Publikum, übertreibt an einigen Stellen total, weil niemand ihn beschwichtigt. Er fachsimpelt mit Halbwissen vor sich hin, stellt seine Rolle im Orchester als die mit Abstand wichtigste und sein Instrument abwechselnd als glorreiche Krone der Schöpfung vor und als schrecklichsten Fluch der Musikentwicklung, glaubt immer die Zustimmung des Publikums auf seiner Seite – ohne sich je relativieren zu müssen, weil ja keine Gegenperspektive kommt.

S: Das ist auch, was mich an dem Stück interessiert: Wer ist dieser Mensch, der da einsam sitzt, Bier trinkt und dem niemand antwortet? Lange nach meiner Vorsprecherfahrung hat mich ein Kontrabassist gefragt: „Sag mal, hast du eigentlich noch nie dieses Stück gemacht?“ und ich: „Nee, ich hatte noch keine Idee dazu.“ Und dann saß ich abends da, nach einem Jazzkonzert, und dachte „Jetzt! Habe ich eine Idee: Lass uns das Stück mal ausgraben und entstauben.“ Es ist aus den 80ern und wirkt auch sehr achzigerjahremäßig - lass uns das mal ins Heute holen. Was wäre das heute?

A: In unserer Inszenierung übt der Kontrabassist nicht im Wohnzimmer, sondern es zieht ihn in einen Arbeitsraum, in dem er versinkt und wo keine soziale Interaktion möglich ist. Auf die leere Bühne. Er vereinsamt, ohne, dass ihn jemand bremsen kann.

E: Ein griffiges Bild: Der Mann arbeitet in einem Orchester, was nach einem Team, einer Gemeinschaft, etwas Glanzvollem aussieht - aber wir sehen die Rückseite davon: Vor der Vorstellung sitzt ein Typ alleine rum, übt, hadert mit seiner eigenen Mittelmäßigkeit und widmet sich dem Alkohol. Darin sehe ich auch sehr gegenwärtige Phänomene, zum Beispiel den Leistungsdruck, das Gefühl, ein Zahnrad in der Gesellschaft zu sein, zu strampeln und nicht die notwendige Anerkennung zu kriegen. Das kann sich, wie in „Der Kontrabass“, in Burnout, Komplexen und Alkoholismus äußern. Dazu das sozial Inkompatible unserer Figur…

A: …Und das Unbeholfene! Er hat einen gesunden sozialen Umgang nie gelernt, nie in eine Gruppendynamik reingefunden und lebt irgendwie an der Gesellschaft vorbei. Er ist noch nicht mal vierzig und Mitten im Leben. Er könnte ja das Ruder herumreißen, wenn er sich trauen würde. Wenn er an die Hand genommen würde. Aber er bleibt einsam.

S: Das Tragikomische daran ist, dass es in der Gesellschaft etwas völlig Gewöhnliches ist. Theater beschäftigt sich ja oft mit Extremfiguren. Psychopathen, Mörder, Verbrecher- aber dieser Typ ist nicht extrem. Der ist gewöhnlich. Alltägliche Probleme, die viele kennen. Aber für ihn existenziell! Und wichtig. Die Probleme werden nicht kleiner, nur, weil es einem anderen noch schlechter geht.

E: Klar, er ist kein auffälliger Typ – aber da deuten sich ja schon unangenehme und übergriffige Züge an: Die Beziehung zu seiner Angebeteten passiert nur in seinem Kopf und diese Fantasie wird irgendwann sehr konkret und schräg – daraus sprechen wieder das Missverhältnis mit sozialen Kontakten, sein unbeholfener Umgang mit Zuneigung und Begehren, eine verzerrte Wahrnehmung von sich selbst und seinem Umfeld. Es bricht auch latenter Antisemitismus durch und eine gewisse Faszination für hierarchische Gesellschaftsformen mit starkem Führerprinzip. Wie ist er zu dem geworden, was er ist?

S: Was er ist, liegt ja nicht allein in seiner eigenen Verantwortung. Aber „Pech gehabt – kann man ja nix mehr machen, Kindheit war schwierig.“ - das ist keine Rechtfertigung. Der einzige Fehler, den er macht, ist höchstens: Er ist arrogant und lehnt jede Hilfe ab. Das ist ein großes Problem! Wenn wir öfter sagen könnten: Ich kann gerade nicht, ich brauche Hilfe. Das wird oft als Schwäche konnotiert, ist aber mutig. Das Wichtige ist: Wir müssen einander zuhören. Als Erwachsener habe ich die Verantwortung für mich und die Menschen um mich herum.

A: Offenbar war ja immer alles „gut“, er kam immer durch, es war immer alles okay nach außen, er ist überzeugt: Dir geht‘s doch gut, du brauchst dich nicht beschweren. Du hast ja keinen Anspruch auf Hilfe. Eine routinierte Vereinsamung.

E: - was er gut überspielen kann! Was er über die Menschen oder die Gesellschaft weiß, kommt allerdings nicht aus eigener Erfahrung, sondern über Wunschdenken, irgendwelche Statistiken und Funde aus dem Internet. Nicht durch soziale Interaktion. Dabei sind da ja Menschen um ihn herum. Die seine Ausbrüche und problematischen Entwicklungen abfedern könnten. Hier wären wir wieder bei der Rolle des Publikums…

A: Idealerweise entsteht genau hier der Kontakt: Er öffnet sich dem Publikum nur so weit, wie das Publikum sich am Ende fragen kann: Hätte ich in so einem Fall was tun sollen? So weit offen war das Verhältnis, dass man hätte sagen können: Mach mal langsam.

E: Stattdessen geht er in die Extreme: „Mein Instrument ist eigentlich die Krone der Schöpfung, Gott hat am achten Tag den Kontrabass geschaffen“ – da ist wieder die Komödie; diese totale Selbstüberhöhung ist witzig! Und das entgegengesetzte Extrem auch. Die Tragik liegt irgendwo darunter.

A: Ja, auch die Tragik und das Selbstmitleid sind komisch. In ihrer Wiederholung. Er nimmt sich ja an Stellen viel zu ernst und macht Witze darüber, dass sich andere viel zu ernst nehmen. Und er selbst der Humorvolle ist. Die ganzen Missverständnisse, darüber kann man schmunzeln, die sind einfach drüber und absurd. Darüber kann man aber auch traurig sein.

S: Der Mensch, den ich versuche zu portraitieren, der hat ja Potenzial. Der hat Witz, der ist lustig, der kann sympathisch sein, der hat einen komischen, alten Humor, aber eigentlich ist der nicht verloren.


Kontrabass 02"Ich üb’ auch nicht. Wir sind zu zehnt, da ist es eh Wurscht, was der einzelne spielt." | Foto: Konrad Fersterer

DIE TRIANGEL

Georg Kreislers Lied „Die Triangel“ (1955) handelt von einem Musiker, der sich sarkastisch über seine eigene scheinbare Bedeutungslosigkeit als Triangelspieler auslässt. Es hat Süskind zu seinem Stück „Der Kontrabass“ inspiriert.

Ja, da sitz ich mitten im Orchester drin
Und halte bereit mein Triangel
Und endlich zeigt der Dirigent auf mich hin
Und dann steh ich auf und mach -

Ich komm erst auf Seite 89 dran
Ja, an Zeit hab ich keinen Mangel
Ich könnt ja was lesen, doch da schaut er mich an
Und schon steh ich auf und mach -

Die Opern kenn ich von hinten nach vorn
Auch den Wozzeck, auch den Rienzi
Die Partitur'n kenn ich von Bratsche bis Horn
Und die ganzen schweren Cadenzi

Meistens werd ich schläfrig von all dem Getös'
Besonders bei Richard Strauss
Doch schlafen geht nicht, der Dirigent wär ja bös'
Er braucht mich ja wegen dem -
Ach, wär doch die Oper schon aus

Es ist schwer zu glauben, doch einst war ich jung
Und studierte an der Akademie
Ich spielte Klavier mit Elan und Schwung
Meine Technik erregte Begeisterung
Und man nannte mich ein Genie

Ich spielte Carneval und die Sylphiden
Die Rhapsodien und die Pathétique
Ich lernte Czernys und Chopins Etüden
Und ich war jung und liebte die Musik

Und eines Tag's sah ich mit viel Vergnügen
Neben den gesamten Werken Glucks
Im Musikgeschäft auch ein Triangel liegen
Da lachte ich und kaufte es - als Jucks

Und da sitz ich mitten im Orchester drin
Im Schatten der großen Trommeln
Gleich kommt mein Einsatz, ich schau gar nicht hin
Ich steh nur auf und mach -

Die Tschinellen machen einen Riesenkrach
Ich wär lieber bei den Schrammeln
Doch jetzt wird es leiser
Und ich mach noch einmal -

Die Violinen weinen jetzt
Die Cellos und Bässe ergrimmen
Die Flöten jubeln, das Glockenspiel lacht
Ein Triangel kann man nicht einmal stimmen

Man wird so nervös und der Sessel ist hart
Und nie bekomm ich Applaus
So sitz ich halt da und wart und wart
Bis ich aufsteh'n darf und mach -
Und dann ist die Oper aus.


05 Kontrabass HP 2327"Wenn die Pauke einmal hinlangt, das hört sich bis in die letzte Reihe, und jeder sagt, aha, die Pauke. Bei mir sagt kein Mensch, aha, der Kontrabass, weil ich geh ja unter in der Masse." | Foto: Konrad Fersterer

SCHRUMM!

Kontrabassisten sind mit ihren Instrumenten, die bereits eine Art musikalischer Kleinwohnungen sind, ins Orchester verbannt, und nur Schubert mit dem Forellenquintett und noch der eine oder andere Komponist haben ihnen den Eintritt in die private Kammermusik ermöglicht, wobei immer eine ganze Zimmerecke für sie ausgeräumt werden muss. Ihr Spiel hat etwas Ingrimmiges, und dies kommt vielleicht daher, weil alle Töne, ob hoch oder tief, gleich brummig sind. Da nun mit der Süße der Töne ihrer höher gearteten Kollegen nicht zu wetteifern ist, verlegen sie sich gerne aufs Pizzikato. Und damit können sie auch Ehre erlangen. So ein gezupfter Kontrabasston, sauber und auf den Schlag gebracht, ist wie ein Grundstein, auf dem Harmonie und Rhythmus stehen.
Die Bassknechte, wie sie boshafterweise von den Kollegen genannt werden, sind die richtigen Landsknechte des Orchesters. Ihr „Schrumm" ist wie ein Schlachtruf. Sie stehen im dichten Gewühl wie Felsen, säbeln wie die Berserker und halten die Fliehenden zusammen. Aber sie können auch andere Dinge. So erdrosseln sie auf Straussens und Herodes' Befehl mit einem entsetzlichen Flageolett-h Jochanaan in der Zisterne, dass einem vor Beklemmung selbst die Luft wegbleibt, oder klauben in Brucknerschen Ländlern die Pizzikati wie reife Pflaumen von ihren dicken Saiten. Ihnen winkt nicht der Ruhm des Solovirtuosen. Sie stehen als Häuflein Aufrechter zu viert, sechst oder acht zusammen am Werk.

Antonio Mingotti, Der hoffnungsvolle Musikus — Kleiner Ratgeber für Musikbeflissene, Hermeran-Verlag 1953, S. 25.


04 Kontrabass 1066"Kontrabass spielen ist reine Kraftsache, mit Musik hat das erst einmal nichts zu tun." | Foto: Konrad Fersterer

IRGENDWANN KRIEGT MAN JEDES GURKENGLAS AUF

Stephan Goldbach ist Berufsmusiker. Er hat das Produktionsteam während der Proben zu „Der Kontrabass“ mit seiner Expertise unterstützt und blickt aus der Perspektive eines Kontrabassisten auf das Stück. Hier gewährt er im Gespräch mit Eva Bode Einblicke in seinen Musikeralltag.

E: Süskinds Protagonist ist der Meinung, niemand komme freiwillig zum Kontrabass. Zum Abgleich mit einem echten Kontrabassistenleben: Wie bist du zu deinem Instrument gekommen?

S: Wenn man Musiker ist, spielt man immer eine Menge Instrumente, aber Kontrabass ist mein Hauptinstrument. Heutzutage gibt es kleine Kontrabässe, aber damals war es kein Einsteigerinstrument für Kinder, gerade auch wegen der Größe! Ich habe also erst Geige gespielt und bin mit 14 auf den E-Bass gewechselt. Geige ist nix für mich - ich spiele nicht gern vorne, bin nicht gern Solist. Außerdem wollte ich mit 14 auch in Bands spielen und Punkrock machen - da hat der Bass dann doch sehr viel besser gepasst als die Geige.

Was spielst du zurzeit und in welchen Formationen?

Jede Musikart braucht eine Art Bassinstrument. Das ist das Schöne. Wenn man Kontra- oder E-Bass spielt, kommt man schnell in verschiedene Formationen rein. Ich wollte mich nie für nur einen Stil entscheiden, deswegen wandle ich zwischen allem hin und her, hauptsächlich Jazz und Klassik. Ich spiele in zig Jazzensembles, im Kammerorchester Ventuno in Fürth, ich mach seit ein paar Jahren Theatermusik, habe viel freie Impro- und experimentelle Projekte, eine Tangoband, eine 20ger/30ger Jahre Bluesband, das Streichertrio, mit dem wir eigene Musik schreiben und auch Arrangements von Bestehendem spielen…

An Monotonie leidest du ja nicht gerade – anders als der Protagonist in Süskinds Stück.

Im Gegenteil. Das spannende an „Der Kontrabass“ bei Süskind ist, dass da ganz viel Wahres drin ist, aber je nachdem, wie man mit diesem Instrument umgeht, trifft das komplette Gegenteil zu. Mein Leben ist überhaupt gar nicht vergleichbar mit dem eines Orchestermusikers. Ich habe eine Zeit lang überlegt, ob ich diese Karriereschiene machen möchte, habe auch zwei Jahre Orchestermusik studiert und liebe die Musik. Es gibt auch nichts Schöneres, als mit acht Bässen im Orchester zu stehen und eine geile Sinfonie zu spielen, das ist toll! Aber wenn man es machen muss, jeden Tag, das kann schon eintönig werden. Zu Studienzeiten in Saarbrücken haben wir immer in der Kantine der Staatsoper gegessen, weil die besser war als unsere Hochschulkantine. Ich erinnere mich, dass man Orchestermitglieder hat reden hören: „Schon wieder Proben, das Stück ist so langweilig …“ und ich saß da immer und hab mir gedacht: Ihr kriegt doch einen Haufen Kohle dafür, dass ihr hier seid und diese geile Musik spielt! Wo ist das Problem? Aber ich versteh natürlich, dass die Monotonie und der Gedanke von „Ich habe Dienst“ einen zermürben kann. Das gibt’s bei mir allerdings nicht.

Es klingt im Gegenteil ja eher nach der Qual der Wahl, die du aus einem Wahnsinnsspektrum an inspirierenden Möglichkeiten zu treffen hast!

Wenn man gut Kontrabass spielt, hat man ein Riesenangebot, was man machen kann. Man kann sich nicht retten. Ich könnte noch viel mehr spielen. Ich hatte immer mehr zu tun, als ich mir aussuchen konnte. Das ist ein Luxus! Sich aussuchen zu können: Mit wem will ich zusammenarbeiten und welche Musik will ich spielen. Das ist total schön. Ich mache nichts, was ich nicht machen möchte.

„Kontrabassspielen ist zu 90% Logistik“ ist ein Satz von dir, den wir in unsere Stückfassung aufgenommen haben. Kannst du das einmal beschreiben bitte?

Beim Touren zum Beispiel. Man muss mit Kraft das Instrument ins Auto hieven oder in den Zug. Ich muss wahnsinnig viel Behinderteninfrastruktur nutzen. Ich muss immer klingeln und durch den Rollstuhleingang gehen. Solche Sachen. Es gibt im ICE kaum Platz, das Instrument unterzustellen, also frage ich, ob ich einen Rollstuhlplatz nutzen kann oder stehe die ganze Zeit im Bordrestaurant. Einer der schönsten Sprüche eines Fahrgasts war mal: „Das Skigepäck muss ja jetzt nicht unbedingt hier im Weg rumstehen“. Der Protagonist in „Der Kontrabass“ fühlt sich ja immer beobachtet, und tatsächlich: Es ist schon so, dass es wahnsinnig viel optischen Raum einnimmt. Ich habe mal ein Konzert gespielt mit zwei Pianisten, Boogie-Woogie. Danach kam eine Frau zu mir und hat gesagt: „Das war ein wunderschönes Konzert. Ich habe zwar keinen Ton von Ihnen gehört, aber es sah sehr schön aus.“

Süskinds Protagonist belastet die absolute Sicherheit als Orchestermusiker. War berufliche Sicherheit für dich jemals ein Sorgenthema?

Wenn man anfängt, Musik zu studieren, macht man das selten, um reich zu werden, sondern meistens aus Hingabe. Es ist ja außerdem nicht so, dass man Musik studiert und danach einfach so in den Job geht. Wenn man sich auf den freien Markt vorbereitet, fängt man im Studium schon an, Bands zu gründen, erste Hintergrundmukken zu spielen. Dadurch sammelt man Kontakte und knüpft Netzwerke, die wichtig sind für die berufliche Sicherheit. Und es klappt: Ich kenne hauptsächlich Leute, die zu viel zu tun haben.
Man muss sich dran gewöhnen, nicht unbedingt immer etwas Festes und Langfristiges zu haben. Aber man hat eben dieses breite Spektrum, in dem man arbeiten kann. Theatermusik, freie Projekte, alles Mögliche. Man kann sehr gut davon leben, es ist ein wunderbarer Beruf! Es gibt neben den vielleicht unsteten Projekten immer auch die Möglichkeit, Unterricht zu geben. Das mache ich zwei Tage die Woche. Daraus kann man ein sicheres Einkommen generieren. Man braucht eine gewisse Zähigkeit für das Drumherum, aber der musikalische Teil ist wunderbar. Da muss man sich keine Sorgen machen.

Ich habe mich mal probeweise an Saschas Kontrabass gestellt und laienhaft versucht, einen Ton da rauszukriegen… das ist ein ganzschöner Kraftakt!

Natürlich braucht’s Kraft, es braucht vor allem Kraft in der linken Hand, dafür kriegt man dann irgendwann jedes Gurkenglas damit auf. Bei modernen Instrumenten geht es aber noch; das war vor 150 oder vor 200 Jahren noch ganz anders, als alle auf Darmsaiten spielen mussten, die doppelt so dick waren wie die Saiten, die wir heute haben. Heutzutage würde ich sagen: Eigentlich kann jeder oder jede Kontrabass spielen. Eine Kommilitonin von mir war keine 1,60 groß und die hat fantastisch Kontrabass gespielt. Also, das geht schon auch.

Ich war dann auch sogar ein bisschen stolz, die rein körperliche Herausforderung bewältigt und eine Saite einigermaßen zum Klingen gebracht zu haben!

Ich mag das sehr gern: Man kann einfach ohne Ende körperliche Energie in den Kontrabass reinstecken, das finde ich toll. Das kann auch ein mächtiges Instrument sein und das macht mir total Spaß.

Unser Protagonist spöttelt über andere Instrumentalist*innen und bedauert seinerseits mangelnde Anerkennung. Entspricht das deinen Erfahrungen?

Man kriegt immer zwei Sprüche, wenn man mit Kontrabass unterwegs ist. Der erste ist: „Oh, das ist aber eine große Gitarre!“ Und der zweite ist: „Hättest du nicht lieber Querflöte gelernt?“ Jedes Mal – und jeder denkt, dass das ein ganz origineller Satz ist. Die Instrumentengruppen, über die es die meisten Witze gibt, sind Bässe und Bratschen. In der klassischen Orchesterliteratur sind für Kontrabässe 80 % von so einer Sinfonie tiefe lange Töne, dafür wird das Instrument ja gebaut. Dann kommen zwei unspielbare Stellen und das war’s dann. Das öffnet natürlich Tür und Tor für Spott, aber das ist zu vernachlässigen. Wie ja auch der Protagonist im „Kontrabass“ sagt: Trotzdem braucht’s den Bass für das ganze musikalische Gefüge.

„Der Bass ist das Grundgefüge, auf dem sich das gesamte Gebilde des Orchesters erhebt“, das sendet er anfangs mit einer ausgesprochenen Dringlichkeit ins Publikum. Das Stück ist da ja an der Stelle eine Ode an ein Instrument, neben all dem Spott.

Die Bandbreite ist einfach enorm. Also, ich find’s schön, dass das natürlich manchmal ein albernes Instrument ist. Dass „Der Elefant“ von Saint-Saens albern ist oder dass so eine Dum-Dum-Dum-Bassbegleitung auch manchmal lustig ist, dass es irgendwie umständlich und tollpatschig wirkt, das Instrument. Klar, das gehört dazu, aber das ist auch schön. Gleichzeitig ist es aber natürlich auch wunderschön, wenn man acht Bässe im Orchester hat, die ein tiefes E spielen, das ist einfach total geil. Oder wenn man sich Jazz anhört… es ist ein wundervolles Instrument.

Vielen Dank für das Gespräch!


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