Staatstheater Nürnberg

Im Detail: Genannt Gospodin

von Philipp Löhle

Gospdin headerFoto: Konrad Fersterer

Aufführungsdauer: 1 Stunde 30 Minuten, ohne Pause


Geld darf nicht nötig sein! Jedweder Besitz ist abzulehnen! Gospodin hat da seine Prinzipien. Und ein Lama, seine Lebensgrundlage – das hat aber Greenpeace eingesackt. Sein Bett hat Anette aus der ehemals gemeinsamen Wohnung mitgenommen, Hermann leiht sich in seiner Abwesenheit den Verstärker aus und Nadine den Fernseher für ein Kunstprojekt. Sie alle „helfen“ ihm mit Jobs, Ratschlägen, Integrationsangeboten in die kapitalistische Realität. Aber Gospodin ist ein Verweigerer. Auch, als eine Tasche voller Geld auftaucht und alles durcheinanderbringt.

Philipp Löhles herrlich komisches Erstlingswerk von 2007 erzählt die Groteske, die entsteht, wenn wir mitten im Kapitalismus versuchen, ohne Geld und Besitz zu leben. Jan Philipp Gloger blickt von heute auf seine Inszenierung am Bayerischen Staatsschauspiel, mit der er seinen Weg als Regisseur begann.


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Video: Philipp Löhle

Die Regeln für ein unbeschwertes Leben scheinen klar: Geh arbeiten, dann hast du Geld und kannst dir Freiheiten leisten – beispielsweise die, dich für ein Produkt aus der Palette der Milchauswahl zu entscheiden. Fettarm? Hafer? Voll? Laktosefrei? Wer arbeitet, hat außerdem erst einmal eine einfache Antwortoption auf die Sinnfrage seines*ihres Lebens, tankt in der Gesellschaft Akzeptanz bis Anerkennung. Das kapitalistische System ist heutzutage und hierzulande so eingespielt, dass es bei den meisten Bürger*innen zum Hintergrundrauschen geworden ist.

Nicht so bei Gospodin. Gospodin verwehrt sich diesem Regelwerk, „schlingert, dreht sich, wendet sich, ringt mit sich und der Welt“ und stellt für sich fest: Er kann seine Überzeugungen nur mit felsenfesten Grundsätzen ausleben – mit radikalen Folgen. Was in Philipp Löhles Komödie ins komisch-Absurde überspitzt wird, berührt Fragen und Konflikte der Menschen in ihren politischen, ökonomischen und ökologischen Zusammenhängen.


2024 NBG Gospdin AMA 0880Foto: Konrad Fersterer


1. EIN WEGGANG IST AUSZUSCHLIESSEN


So lautet Gospodins erstes Dogma. Er stellt sich resolut der Herausforderung, „das richtige Leben im falschen“ zu bewältigen – ein berühmt gewordenes Zitat Theodor W. Adornos. Der jüdische Soziologe und Philosoph, der in den 50er Jahren aus der US-amerikanischen Emigration nach Deutschland zurückkehrte, mahnte mit diesem Satz an das Misstrauen gegenüber eines als gut und richtig verkauften Lebens in einer unmenschlichen (politischen) Struktur. Mittlerweile ist sein Zitat zum geflügelten Wort geworden, nicht selten zum Ausdruck von Hilflosigkeit angesichts eines ungezügelten Kapitalismus‘, der auf Kosten von Mensch und Natur geht. Schon 1972 wies der „Club of Rome“ auf die negativen globalen Auswirkungen vom Lebensstil in Industrienationen hin: Bei gleichbleibenden Trends in der Ausbeutung von Ressourcen, im Bevölkerungswachstum und sogenannten Wohlstand in Industriestaaten ist schon nach 100 Jahren eine „Grenze des Wachstums“ erreicht, nach der die gemeinnützige, interdisziplinäre Organisation Zusammenbruchszenarien skizziert. Und, so bedrängend das auch ist: Ein Weggang ist – da hat Gospodin Recht – unmöglich, auszuschließen in einer globalen Dimension.


2024 06 05 NBG Gospodin GP 3471Foto: Konrad Fersterer


2. GELD DARF NICHT NÖTIG SEIN!


Gospodins Freundin Anette verzweifelt an seiner scheinbar naiven, sturen Haltung; sein Leben ohne Geld erweckt bei seinem Umfeld zunächst Mitleid, wird als Ursprung seiner Probleme wahrgenommen. Gospodin selbst sieht das genau andersherum: Es ist das Geld, das die Probleme verursacht. Zwischenmenschlich, wenn seine Freund*innen ihn ausnehmen oder anpumpen und in der Gesellschaft, für die Geld einen quasireligiösen Status errungen hat. Das sieht auch der Kultursoziologe Georg Simmel so: „Der Kapitalismus hat Gott durch Geld ersetzt“. Sogar Verzicht, Zurückhaltung, mithin: Gospodins Lebensstil ist in dieser Analogie eingespeist als religiöse Askese. Der Drang danach, sich zu zügeln, wird letztlich von kapitalistischen Selbstoptimierungsangeboten einverleibt. Wie also auf individueller oder struktureller Ebene diesem Punkt in Gospodins Dogma nachgehen?


2024 NBG Gospdin AMA 0243Foto: Konrad Fersterer


3. JEDWEDER BESITZ IST ABZULEHNEN!


Eine Überzeugung, die im Ansatz je nach Perspektive sympathisch wirkt – Einfach mal entrümpeln, Überschüssiges abstoßen, nutzlosen Krempel loswerden. Brauche ich wirklich acht Paar Schuhe? Oder drei Pfannen? Minimalismus ist in übersättigten, wohlhabenden Gesellschaftsschichten zu einem Lifestyle geworden. Deutlichster Ausdruck: Marie Kondō, die erfolgreiche Ausmist-Influencerin, die aus ihrer Aufräumpraxis einen nahezu spirituellen Kult und sich selbst mit ihren Bestsellern reich und berühmt gemacht hat. Ein gutes Beispiel dafür, wie selbst Verzicht kapitalistisch verwertet wird, nämlich in der Vermarktung von Produkten, Shows, Channels über Minimalismus. Aber wer kann sich solch ein Credo, ihre Bücher und die Beschäftigung mit ihren Videos leisten? Gospodin könnte das vermutlich nicht. Ihm reicht auch die vordergründige Lifestyle-Kritik an Materialismus nicht. Ihm geht es nicht um einen Kult, er ist kein ideologisch radikaler Prediger. Er versucht sich schlicht zu lösen von der Fokussierung auf Besitz, die den Blick auf das Wichtige im Leben verstellt.


2024 NBG Gospdin AMA 0088Foto: Konrad Fersterer


„FREIHEIT IST, KEINE ENTSCHEIDUNG TREFFEN ZU MÜSSEN.“


– und zwar nicht, weil andere entscheiden, sondern weil kein Entscheidungsbedarf besteht. „Melde dich arbeitslos, dann hast du alle Freiheit, dann kannst du dir wieder einen Fernseher kaufen, und dann kommt auch Anette zurück. Es könnte so einfach sein.“, ist Sylvias Auffassung von Freiheit. Aber es ist genau das, was Gospodin ärgert: Wahlfreiheit besteht in dieser Welt nur innerhalb der Logik von Arbeit, Leistung, Lohn und Konsum. Jede Entscheidung birgt schädliche Folgen. Welche Auswirkungen die Handlungen, Kaufentscheidungen und Lebensentwürfe eines Einzelnen auf die Umwelt hat, liegt auf der Hand, wie damit umzugehen ist, da scheiden sich die Geister. Mit bewusstem Konsum, Vegetarismus und emissionsarmem Reisen den ökologischen Fußabdruck zumindest niedrig halten? Oder ist das zu zahm, im Grunde nur Eskapismus, während die wirklich wirksamen Stellschrauben bei den Konzernen liegen? Oder liegt das Problem, wie Gospodin sagt, in der Natur des Kapitalismus?

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GOSPODIN: Nicolas Frederick Djuren

SIE/ANETTE/NADINE/SYLVIA/KARL ENGERLING/KOMMISSARIN: Sasha Weis

ER/ANDI/HAJO/DER MANN VOM SUPERMARKT/MUTTER/KOMMISSAR: Justus Pfankuch


Regie: Jan Philipp Gloger / Bühne: Franziska Bornkamm / Kostüme: Karin Jud / Dramaturgie: Eva Bode / Musik: Jan Faszbender / Licht: Wolfgang Köper


Regieassistenz und Abendspielleitung: Paulina Seibold / Inspizienz: Tommy Egger / Soufflage: Delia Matscheck / Ausstattungsassistenz: Maria-Angelica Guerrero / Werkstudentin: Sophia Czerwinski / Freiwilliges kulturelles Jahr: Sabrina Haas, Paula Hayduk


Technischer Direktor: H.-Peter Gormanns / Referentin des Technischen Direktors: Henriette Barniske / Werkstättenleiter: Hubert Schneider / Konstrukteurin: Verena Brodersen / Bühne: Florian Steinmann (Technischer Leiter), Uwe Otten / Beleuchtung: Florian Steinmann, Wolfgang Köper, Frank Laubenheimer, Günther Schweikart / Ton und Video: Boris Brinkmann, Manuela Trier, Joel Raatz / Masken und Frisuren: Dirk Hirsch / Requisiten: Urda Staples, Christine Bakker / Kostümdirektion: Eva Weber / Ausfertigung der Dekoration: Dieter Engelhardt (Schreinerei) / Klaus Franke (Schlosserei) / Thomas Büning / Ulrike Neuleitner (Malsaal) / Werner Billmann (Dekorationsnäher) / Elke Brehm / Jonas Kusz (Theaterplastik)


Aufführungsrechte: Felix Bloch Erben GmbH & Co KG, Berlin


Die Inszenierung beruht auf einer Produktion des Bayerischen Staatsschauspiels/ Residenztheaters aus der Spielzeit 2007/08.


Das Schauspiel des Staatstheaters Nürnberg dankt dem Förderverein Schauspiel für seine Unterstützung.


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